Historisches Lernen im Archiv
Kenntnisreich und erfahrungsgesättigt, aber auch mit Herzblut haben der Darmstädter Archivpädagoge Thomas Lange und der Darmstädter Staatsarchivar Thomas Lux ein Buch verfasst, das – laut Klappentext – in die didaktische Diskussion um Archivpädagogik einführt, über die vielfältigen Aufgaben und Arbeitsfelder der Archive informiert und praktische Hinweise und Tipps für die schulische Arbeit mit archivalischen Quellen gibt. Insofern handelt es sich einerseits um eine Einführung, die sich vor allem an Geschichtslehrerinnen und -lehrer wendet, deren Kenntnisse über den „Lernort“ Archiv grundlegend verbessert werden sollen. Andererseits handelt es sich bei dem 2004 erschienenen Buch „Historisches Lernen im Archiv“ aber auch um ein engagiertes archivpolitisches Plädoyer für ein modernes Rollenverständnis der Archive.
Mit erkennbarer Sympathie beziehen sich die Autoren in ihrer Argumentation, „dass Archive Werkzeuge der Demokratie sein können“ (34), dabei auf Traditionen der Aufklärung wie auf außerdeutsche Vorbilder: Auf das seit 1794 in Frankreich gesetzlich verankerte Zugangsrecht jeden Bürgers zu den bis dahin geheimen Archiven wird an mehreren Stellen Bezug genommen, ebenso auf den 1950 entstandenen pädagogischen „Unterrichtsdienst“ der französischen Archive. Aber auch die Bedeutung authentischen Materials von Unterdrückten und über Verfolgte der europäischen Diktaturen, das zur Aufarbeitung der privaten wie der allgemeinen Geschichte dieser Länder unentbehrlich ist (z.B. des Memorial-Archivs in Moskau oder der deutschen Stasiunterlagenbehörde), wird betont. Stünden Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit in vielen europäischen Archiven auch noch am Anfang, so zeige sich derzeit gerade in Osteuropa, wie insbesondere Jugendliche mit den Archiven forschend und entdeckend lernen könnten, wodurch Demokratie in ihren Gesellschaften verwirklicht oder verhindert worden sei.
Didaktisch und methodisch ist das Buch von Ansätzen der 1970er und 1980er Jahre geprägt, so unter Bezugnahme auf einen – etwas verkürzt dargelegten – Geschichtsbewusstseins-Begriff nach Jeismann sowie auf Unterrichtstypologisierungen nach von Borries. Das Streben nach Aufklärung und das Anwenden der kritischen Methode zum Erkennen historiographischer Perspektivität wird dabei insbesondere vor dem Hintergrund des alltagsgeschichtlichen Wandels der Geschichtswissenschaft im selben Zeitraum beschrieben. Beides verhalf den Archiven zu neuem Aufwind und neuer Klientel: „Geschichte von unten“ und „Geschichte vor Ort“, wie sie die Geschichtswerkstätten und der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten bis heute propagieren, machten die „detektivische Spurensuche“ zur geläufigen Metapher im Geschichtsunterricht (40).
Da es das Ziel archivpädagogischer Arbeit sei, Geschichte sinnlich und persönlich erfahrbar zu machen (47), gilt die direkte Arbeit mit Archivalien als die entscheidende Phase beim Archivbesuch. Nach einem Einführungskapitel über den Zweck von Archiven (5-25), einem historischen Rückblick auf die Genese der Archivpädagogik und der Historischen Bildungsarbeit (26-64), stellen die Verfasser in einem umfangreichen, auch für die FAMI- und Archivarsausbildung geeignet heranzuziehenden dritten Kapitel das „Universum“ der Archive und der Akten vor (65-146): Die verschiedenen öffentlichen, öffentlich-rechtlichen und privaten Archivformen, ihre Organisation, Struktur und Funktion werden dabei ebenso dargelegt, wie Archivtechnik, archivarische Tätigkeiten, Aktenkunde und Hilfswissenschaften, deren Kenntnis den Archivbesuch erleichtern. Die Kapitel 4 und 5 sind schließlich der Praxis gewidmet, wobei es zunächst um die Archivpädagogik und die Präsentation im Archiv entstandener Forschungsergebnisse geht (147-193). Den Abschluss des Bandes bilden praktische Tipps zur Vorbereitung auf einen Archivbesuch sowie Literatur- und Lesehinweise zum Vertiefen der bereits mit diesem Band erworbenen archivpädagogischen Kenntnisse (194-222). Das an Informationen und Argumenten dichte Buch ist eng bedruckt, aber gut lesbar. Es wird durch zahlreiche illustrierende und erläuternde Abbildungen sinnvoll ergänzt und dürfte das bislang noch archivferne Lehrpersonal eigentlich zum aktiven Besuch des „Bildungszentrums Archiv“ ermuntern.
Info:
Thomas Lange/Thomas Lux: Historisches Lernen im Archiv
(Reihe: Methoden Historischen Lernens), Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2004,
222 S., 14,30 Euro, ISBN 3-89974107-2
Mit erkennbarer Sympathie beziehen sich die Autoren in ihrer Argumentation, „dass Archive Werkzeuge der Demokratie sein können“ (34), dabei auf Traditionen der Aufklärung wie auf außerdeutsche Vorbilder: Auf das seit 1794 in Frankreich gesetzlich verankerte Zugangsrecht jeden Bürgers zu den bis dahin geheimen Archiven wird an mehreren Stellen Bezug genommen, ebenso auf den 1950 entstandenen pädagogischen „Unterrichtsdienst“ der französischen Archive. Aber auch die Bedeutung authentischen Materials von Unterdrückten und über Verfolgte der europäischen Diktaturen, das zur Aufarbeitung der privaten wie der allgemeinen Geschichte dieser Länder unentbehrlich ist (z.B. des Memorial-Archivs in Moskau oder der deutschen Stasiunterlagenbehörde), wird betont. Stünden Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit in vielen europäischen Archiven auch noch am Anfang, so zeige sich derzeit gerade in Osteuropa, wie insbesondere Jugendliche mit den Archiven forschend und entdeckend lernen könnten, wodurch Demokratie in ihren Gesellschaften verwirklicht oder verhindert worden sei.
Didaktisch und methodisch ist das Buch von Ansätzen der 1970er und 1980er Jahre geprägt, so unter Bezugnahme auf einen – etwas verkürzt dargelegten – Geschichtsbewusstseins-Begriff nach Jeismann sowie auf Unterrichtstypologisierungen nach von Borries. Das Streben nach Aufklärung und das Anwenden der kritischen Methode zum Erkennen historiographischer Perspektivität wird dabei insbesondere vor dem Hintergrund des alltagsgeschichtlichen Wandels der Geschichtswissenschaft im selben Zeitraum beschrieben. Beides verhalf den Archiven zu neuem Aufwind und neuer Klientel: „Geschichte von unten“ und „Geschichte vor Ort“, wie sie die Geschichtswerkstätten und der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten bis heute propagieren, machten die „detektivische Spurensuche“ zur geläufigen Metapher im Geschichtsunterricht (40).
Da es das Ziel archivpädagogischer Arbeit sei, Geschichte sinnlich und persönlich erfahrbar zu machen (47), gilt die direkte Arbeit mit Archivalien als die entscheidende Phase beim Archivbesuch. Nach einem Einführungskapitel über den Zweck von Archiven (5-25), einem historischen Rückblick auf die Genese der Archivpädagogik und der Historischen Bildungsarbeit (26-64), stellen die Verfasser in einem umfangreichen, auch für die FAMI- und Archivarsausbildung geeignet heranzuziehenden dritten Kapitel das „Universum“ der Archive und der Akten vor (65-146): Die verschiedenen öffentlichen, öffentlich-rechtlichen und privaten Archivformen, ihre Organisation, Struktur und Funktion werden dabei ebenso dargelegt, wie Archivtechnik, archivarische Tätigkeiten, Aktenkunde und Hilfswissenschaften, deren Kenntnis den Archivbesuch erleichtern. Die Kapitel 4 und 5 sind schließlich der Praxis gewidmet, wobei es zunächst um die Archivpädagogik und die Präsentation im Archiv entstandener Forschungsergebnisse geht (147-193). Den Abschluss des Bandes bilden praktische Tipps zur Vorbereitung auf einen Archivbesuch sowie Literatur- und Lesehinweise zum Vertiefen der bereits mit diesem Band erworbenen archivpädagogischen Kenntnisse (194-222). Das an Informationen und Argumenten dichte Buch ist eng bedruckt, aber gut lesbar. Es wird durch zahlreiche illustrierende und erläuternde Abbildungen sinnvoll ergänzt und dürfte das bislang noch archivferne Lehrpersonal eigentlich zum aktiven Besuch des „Bildungszentrums Archiv“ ermuntern.
Info:
Thomas Lange/Thomas Lux: Historisches Lernen im Archiv
(Reihe: Methoden Historischen Lernens), Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2004,
222 S., 14,30 Euro, ISBN 3-89974107-2
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