8.7.07

LWL-Volksliedarchiv sammelt Lieder aus Westfalen

"Komm ein bißchen mit nach Italien, komm ein bißchen mit ans blaue Meer..." klang es ab 1955 aus vielen bundesdeutschen Radios. Die Caprifischer, "rote Rosen, rote Lippen, roter Wein und Italiens blaues Meer" waren in aller Munde und prägten das Italienimage nachhaltig: Italien war in den 1950er und 60er Jahren zweifellos das beliebteste Reiseziel der Deutschen im Ausland. Doch viele Menschen konnten ihren Urlaub nur in der Heimat verbringen. Mit einem Lied auf den Lippen gingen sie auf Wanderschaft. Diese Lieder sammelt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) im Westfälischen Volksliedarchiv.

"Wird über Reiseziele gesprochen, so gerät leicht in Vergessenheit, dass bis in die 1950er Jahren der Urlaub in "Bad Meingarten" oder auf "Balkonien" sehr viel stärker verbreitet war als die Italienreise. Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage leistete sich noch zu Beginn der 1950er Jahre nur ein Fünftel der Bevölkerung eine Urlaubsreise. Viele Menschen waren nach wie vor damit ausgelastet, ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf zu organisieren. Andere hatten sich wirtschaftlich zwar schon ein wenig konsolidiert, sie maßen aber Luxusgütern wie z.B. einem Kühlschrank oder einem eigenen Auto größere Bedeutung bei", erläutert Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission des LWL. Bei einer Umfrage des Allensbacher Institutes 1955 gaben noch 29 Prozent der Befragten an, sie hätten in ihrem Leben noch nie eine Urlaubsreise gemacht.
Teils notgedrungen, teils aber auch aus ehrlicher Überzeugung begaben sich laut Cantauw viele Zeitgenossen im Urlaub in die heimische Umgebung, deren Reize sie durchaus wahrnahmen, wie das Liedgut belegt:

"Ich bin so gern daheim, daheim in meiner stillen Klause. / Wie klingt es doch dem Herzen wohl, dies liebe traute Wort Zuhause. / Und nirgends auf der weiten Welt, bin ich befreit so von Beschwerden. / Ein braves Weib, ein herzig Kind, das ist mein Himmel auf der Erde",
lautet etwa die erste Strophe eines alten Volksliedes, das der Tierarzt August Lange aus Bad Laasphe-Feudingen (Kreis Siegen-Wittgenstein) der Volkskundlichen Kommission mitgeteilt hat.

Naturbegeisterung drückt sich in einem anderen alten Liedtext aus:

Seht den Himmel wie heiter, / Laub und Blumen und Kräuter, / Schmücken Feld und Hain. / Balsam atmen die Weste, / Und im schattigen Neste, / Girren brütende Vögelein. / Über grünliche Kiesel, / Rollt der Quelle Geriesel. / Purpur blinkender Schaum. / Und die Nachtigall flötet, / Und vom Abend gerötet, / Wiegt sich spiegelnd der Blütenbaum. / Alles tanzt vor Freude. / Dort das Reh auf der Heide. / Hier das Lämmchen im Tal, / Vögel hier im Gebüsche, / Dort im Teiche die Fische. / Tausend Mücken im Sonnenstrahl."

"Die älteren Liedtexte sprechen eine sehr eindeutige Sprache. Hier ist nicht von Sonne, Strand und Meer die Rede, sondern von der heimischen Tier- und Pflanzenwelt", erläutert Cantauw. Die Begeisterung für die Natur, die die Romantiker geweckt hatten, hielt nach ihren Angaben bis weit in die 1950er Jahre hin an. Seit den 1960er Jahren gab es aber kein Halten mehr: Spätestens jetzt war es nicht mehr der "schöne Wiesengrund", der Emotionen auslöste, sondern der Sonnenuntergang auf Capri.

Seit neuerer Zeit ist aber wieder ein gegenläufiger Trend zu beobachten: Deutschland als Reiseziel ist wieder "sexy" wie die Stern-Redaktion kürzlich feststelle. "Leider können wir diesen Trend nicht an bestimmten Liedern festmachen, denn nach dem Tod von Renate Brockpähler, die das Archiv bis 1990 betreut hat, konnten wir die Liedersammlung im Westfälischen Volksliedarchiv aus personellen Gründen nicht fortsetzen", bedauert Anne Wolf. Sie digitalisiert und erschließt derzeit in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt insgesamt 9.000 schriftliche Liedbelege und Tonaufnahmen, die zwischen 1900 und 1990 in ganz Westfalen zusammengetragen wurden.

Info:
Weitere Informationen zum Westfälischen Volksliedarchiv erhalten Interessierte unter: www.westfaelisches-volksliedarchiv.de oder montags bis mittwochs bei
Anne Wolf M.A.
Scharnhorststraße 100
48151 Münster
Tel.: 0251 83-25409
Fax: 0251 83-28393
wolfanne@uni-muenster.de

Quelle: LWL-Pressestelle, 3.7.2007

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